Marcus Tangemann
Rechtsanwalt in freier Mitarbeit
Fachanwalt für Familienrecht
Familienrecht
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 13.10.2022 (AZ.: 17 UF 186/22) entschieden, dass ein aus der Ukraine entführtes Kind nicht dorthin zurückgeführt werden darf.
Im zu entscheidenden Fall lebte ein 2021 geborenes Mädchen bis zum März 2022 mit ihren gemeinsam sorgeberechtigten und verheirateten Eltern in Odessa in der Ukraine. Bei Fliegeralarm flüchteten sie sich mit dem Kind ins Auto und verbrachten die Nächte in einer Tiefgarage. Anfang März 2022 floh die Mutter dann ohne Zustimmung des Vaters mit der Tochter nach Deutschland. Das Handeln der Mutter stellt eine Kindesentführung im Sinne des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) dar, weshalb der Vater die Rückführung seiner Tochter in die Ukraine, hilfsweise in die Republik Moldau beantragt hatte.
Das OLG lehnte die Anträge des Vaters ab, da eine Rückführung des Kindes in ein Kriegsgebiet mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sei (Art. 13 Abs. 1b HKÜ/Härtefallklausel) und es sich bei dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine seit dem 24.02.2022 mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs um ein Kriegsgebiet handele. Dies gelte auch für die Westukraine und damit auch für Odessa, da aufgrund der Raketenangriffe und Angriffe durch Kamikaze-Drohnen durch Russland nicht vorhergesagt werden könne, welche Bereiche und welche ggf. auch zivilen Ziele dort getroffen werden. Hinzu komme, dass die Gesamtentwicklung der Auseinandersetzung bei den zur Zeit fehlenden konkreten Aussichten für eine friedliche Konfliktbeilegung insgesamt die Tendenz zur weiteren Eskalation erkennen lasse und daher konkret im Falle einer gedachten Rückführung des Kindes damit gerechnet werden müsse, dass in der Ukraine eine noch gefährlichere Situation entstehe.
Eine Rückführung nach Moldau komme auch nicht in Betracht, da die Gerichte in Moldau für eine Entscheidung über den weiteren Aufenthalt des Kindes nicht zuständig seien. Hierzu hätte das Mädchen zunächst seinen gewöhnlichen, bisherigen Aufenthalt in Moldau haben müssen.
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